Privatpraxis für Psychotherapie Dr. Espig

Dr. med. Heidrun Espig
Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Privatpraxis für Psychotherapie

Bremen-Horn, Weyerbergstraße 21   

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Existenzanalyse und Logotherapie


Wir müssen der Frage nach dem Sinn des Lebens eine  kopernikanische Wendung geben: Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu verantworten hat.
Viktor E. Frankl, Ärztliche Seelsorge  


Viktor E. Frankl (1905-1997), Wiener Psychiater und Neurologe und Auschwitz-Überlebender, ist der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. 
Logotherapie bezieht sich auf das griechische Wort logos – dies bedeutet Rede, Vernunft, Schöpferkraft – Frankl fasste die Bedeutung im Begriff Sinn zusammen.

Frankl machte als stärkste Motivationskraft des menschlichen Lebens den Willen zum Sinn aus. Es geht dabei nicht um eine womöglich religiös zu begründende Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt, sondern gemeint ist der Sinn im Leben. Sinnerfüllt leben heißt demnach, die Welt, die Mitmenschen und sich selbst als Aufgabe anzunehmen. Dies ist möglich mit der existenziellen Haltung der Offenheit: Ich lasse mich vom Leben fragen. Ich spüre den Anruf der Situation heraus: was ist jetzt dran, was ist jetzt zu tun. Es geht also stets um den konkreten Sinn in einer konkreten Situation: Sinn ist eine Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit. Der Sinnfindungsprozess bedeutet: Ich bin als Mensch in eine Beziehung zur mich umgebenden Welt gestellt. Eine Situation spricht mich an (fragt mich), und ich antworte darauf. Damit ich antworten kann, muss mich etwas ansprechen, berühren. Das, was mich berührt, ist ein Wert. Ein Wert ist das, was mir wichtig ist, was mich anzieht. 

Die Logotherapie und Existenzanalyse hat drei Wertkategorien ausgemacht: Erlebniswerte (z.B. Natur, Musik, Sport, Tiere, andere Menschen), schöpferische Werte (z.B. Arbeit, kreatives Tun) und Einstellungswerte (angesichts von nicht veränderbaren Erfahrungen wie Leid, Schuld und Tod kann ich dennoch meine Einstellung dazu verändern). Im Sinnfindungsprozess nehme ich zunächst viel Verschiedenes wahr, dann lasse ich mich auf etwas mir Wertvolles näher ein. Es reicht aber nicht, mich einzulassen – ich muss mich auch entscheiden, ich muss etwas auswählen. Damit begrenze ich mich, schließe anderes aus, bringe mich selbst als Person ganz ein. Mich für alles entscheiden zu wollen, wäre eine Überforderung. Es geht also um sinnvolle Begrenzung. Dabei ist der Wert, für den ich mich entscheide, auch tragender Grund. Es ist nämlich der Grund meiner Bevorzugung. Und das kann mich tragen, wenn Konflikte auftauchen. Und ich kann mich Schritt für Schritt ins Leben hinein-entscheiden. Ich muss nicht alles auf einmal können. Allerdings muss ich anfangen zu handeln, die Entscheidung allein reicht nicht . Erst dann – kommt es zur Sinnerfüllung.

Existenzanalyse  heißt nicht Analyse der Existenz, sondern Analyse auf Existenz hin. Dabei ist der Unterschied zwischen Ursache (woher kommt etwas) und Grund (wozu ist etwas da) angesprochen. Das was da ist, nehme ich als Grund. Ich bin da – das ist etwas Gegebenes. Ich bin mir gegeben, ich bin mir anvertraut, mir ist mein eigenes Leben anvertraut. Die Existenzanalyse spricht dabei von Grundwert: Ich bin, und dass ich bin, ist ansich schon gut. Und indem ich bin, mir gegeben bin, bin ich aufgefordert, etwas aus mir zu machen. Ich bin nicht für mein Leben verantwortlich. Das ist einfach da. Aber mich sinnvoll in Erscheinung zu bringen, dafür bin ich verantwortlich. Existieren bedeutet als Person heraustreten, bedeutet Auseinandersetzung und Begegnung zwischen der Person und ihrer Welt. 

Wenn der Wille zum Sinn verschüttet ist – weil ich zum Beispiel in meiner Lebensgeschichte wiederholt als Person in meinem Selbstsein nicht wahrgenommen und gefördert wurde oder weil ich verletzende oder traumatisierende Erfahrungen gemacht habe und weil mich nun Angst oder Depression lähmt, geht es darum, mich in kleinen Schritten wieder ins Leben hineinzuentscheiden. Dabei kann hilfreich sein, mir klarzumachen, dass mein ganzes Dasein bereits Antwort auf das Leben ist. Mit meinen Sinnen sehe, höre, rieche, schmecke, ertaste ich die Welt, bin ich im Kontakt, spüre Grenzen und Möglichkeiten. In der Selbstverständlichkeit des Daseins eines kleinen Kindes leuchtet uns das unmittelbar ein. Um Angst und Depression, Sinnkrisen und traumatische Erfahrungen zu überwinden und wieder in Kontakt mit dem Leben zu kommen, ist es wichtig zu lernen, mich dem was da ist – nämlich dass ich lebendig bin – anzuvertrauen. 

Frankls Kernüberzeugung war der „unbedingte Glaube an die unsichtbare, aber unzerstörbare geistige Person“ (Frankl, 1990, Der leidende Mensch). Es gibt dabei zu entdecken, dass jede einzelne Empfindung, jedes einzigartige Gefühl in sich selbst bereits das Potential zur Veränderung trägt. Wenn ich mich darauf einlasse, kann ich den Übergang von Schmerz in Freude, wenn auch in vielen kleinen Schritten, erleben. Mich auf diese Ursprünglichkeit der Gefühle und Empfindungen einzulassen lässt mich wiederentdecken, dass sich das Leben aus sich selbst heraus steigern möchte. Um dies wahrnehmen zu können, ist eine Verlangsamung – statt eilig voranzuschreiten und Symptome schnell wegmachen zu wollen – eine notwendige Maßnahme.

Quellen:
 Eigene Mitschrift der Ausbildung in Existenzanalyse und Logotherapie bei Günter Funke, 1990-1992